Nach sechs Monaten Verhandlungen haben sich die Landtagsfraktionen der CDU und SPD auf ein neues Schulgesetz geeinigt. Die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Friedel, erklärt im Interview, was sich durch das Gesetz im sächsischen Schulwesen nun ändert.
Sachsen bekommt ein neues Schulgesetz. Ist es ein SPD-Gesetz?
Sabine Friedel: Es ist ein echtes Gemeinschaftswerk. Und trägt die Handschrift von vielen: Die der SPD, die der CDU, vor allem aber die Handschrift vieler Bürgerinnen und Bürger. Das Kultusministerium war ja vor einem guten Jahr mit einem großen Beteiligungsprozess gestartet. Leider hatte es nur wenige Ideen übernommen. Und so hatten wir uns dann zur Aufgabe gemacht, das Demokratieversprechen einzulösen und noch viele Anregungen unterzubringen. Das ist uns gelungen und darauf sind wir ein bisschen stolz.
Was wird sich ändern?
Sabine Friedel: Es kann sich Vieles ändern. Wir haben immer gesagt: Wir wollen ein Ermöglichungsgesetz. Wir wollen, dass die Schulen mehr Freiraum erhalten. Das ist gelungen – in ganz vielen Bereichen: Schulen können ihre eigene Stundentafel gestalten. Sie können auch in höheren Klassen jahrgangsübergreifend unterrichten. Sie müssen die Schüler nicht mehr in Haupt- und Realschulgang trennen. Verschiedene Schularten können miteinander kooperieren. Das und vieles mehr wird möglich. Wenn es die Schule will. Aber keiner wird gezwungen.
Sie hatten weitere Schulschließungen befürchtet. Wie sieht es damit aus?
Sabine Friedel: Das Problem ist vom Tisch, glücklicherweise. Im Entwurf des Kultusministeriums war das Schulschließungsmoratorium nicht umgesetzt. Wir haben es jetzt eins zu eins ins Gesetz geschrieben. Damit sind einzügige Oberschulen mit 20 Schülern pro Klasse möglich, und auch zweizügige Gymnasien. Und es gab noch ganz versteckte „Effizienzheber“ im Kultusentwurf: Beispielsweise sollten die Gemeinden nicht mehr selbst über ihre Grundschulbezirke bestimmen können. Das hätte neuen Schulschließungen wieder Tür und Tor geöffnet – und deshalb haben wir diese geplante Änderung natürlich abgelehnt. Darauf aufmerksam gemacht haben uns viele Bürgermeister. Und überhaupt: Bei ganz vielen Punkten haben wir wertvolle Hinweise und Unterstützung bekommen. Das hat uns sehr geholfen!
Sagen Sie bitte noch etwas mehr zu den inhaltlichen Änderungen.
Sabine Friedel: Ach, es sind so viele. Der CDU-SPD-Änderungsantrag hat fast 40 Seiten. So stark dürfte vorher noch kein Gesetzentwurf verändert worden sein. Wir haben festgeschrieben, dass die Grundschulen zusätzliche Mittel für Inklusion bekommen. Außerdem wird es ab dem Schuljahr 2018/19 an jeder sächsischen Oberschule einen Sozialarbeiter geben. Die Berufsschulnetzplanung wird zentralisiert, damit ein ausgewogenes Netz erhalten bleibt. Die Mindestschülerzahl für Berufsschulzentren sinkt auf 550 Schüler. Auf unserer Internetseite stellen wir alle Änderungen vor. Und zeigen auch, wie viele Hinweise aus dem Beteiligungsprozess wir übernehmen konnten.
Und das sozialdemokratische Herzensanliegen – die Gemeinschaftsschule?
Sabine Friedel: In einem Zeitungsinterview habe ich vor einem Jahr gesagt, dass die Ermöglichung solcher Schulformen vielleicht sogar mit der sächsischen Union möglich sein sollte. Aber da habe ich mich leider geirrt. Hier steht die CDU fest wie ein Saurier vorm Kometeneinschlag. Erst im Dezemberplenum war das Thema, und die Kollegen von der CDU erklärten: Solange die CDU in Sachsen regiert, solange wird es das dreigliedrige Schulsystem in Sachsen weiterhin geben. Wir müssen (hoffentlich kurzfristig) damit leben lernen.
In meinem Redebeitrag habe ich gesagt: „Ich würde doch umgekehrt, wenn ich mal den Perspektivwechsel versuche, genauso reagieren: Hätten wir in Sachsen ein Schulsystem von der 1. bis zur 10. Klasse und die SPD würde als Mehrheitsfraktion seit vielen Jahren hier regieren, und auf einmal kommt dann die CDU und sagt ‚Wir möchten aber dreigliedrig werden‘, dann würde ich doch auch sagen: ‚Liebe Freunde, ich gönn Euch Eure Meinung, aber solange die SPD hier in Sachsen stärkste Fraktion ist, solange bleiben wir beim längeren gemeinsamen Lernen.‘“ Das Schöne an der Demokratie ist: Wer stärkste Fraktion ist, bestimmen die Wähler. Alle fünf Jahre neu. Wer hier Bewegung will, der muss mit seinem Wahlkreuzchen helfen!
Also haben Sie sich in diesem Punkt geschlagen gegeben?
Sabine Friedel: Wir haben die Meinung der CDU und die Realität des letzten Wahlergebnisses respektiert. Ich kann daran nichts Falsches erkennen. „Nein heißt nein“ gilt eben auch hier. Am Ende der Verhandlungen muss man abwägen: Kein novelliertes Schulgesetz? Oder ein novelliertes Schulgesetz mit guten Inhalten, aber ohne Gemeinschaftsschule? Und dann haben wir abgewogen: Ohne neues Schulgesetz keine Inklusion, kein Rechtsanspruch auf Regelschule, keine zusätzlichen Ressourcen, kein Runterfahren der Diagnostik. Ohne neues Schulgesetz keine Schulsozialarbeit an allen staatlichen Oberschulen, zu 100% finanziert vom Freistaat. Ohne neues Schulgesetz keine Absicherung der Schulstandorte im ländlichen Raum. Das wäre nicht klug gewesen. Uns geht es beim längeren gemeinsamen Lernen vor allem darum, Vielfalt in einer Schule wieder spürbar zu machen. Sortierung zurückzudrängen. Kinder erleben zu lassen, dass andere Kinder anders sind. Dass jeder seine Berechtigung hat. Es gibt keinen guten Ersatz für die Gemeinschaftsschule, um das zu erreichen. Aber es gibt kleine funktionale Äquivalente dafür: den jahrgangsübergreifenden Unterricht, die Aufhebung der Trennung zwischen Haupt- und Realschulgang, die Ermöglichung von Doppelstandorten und „Campuslösungen“, so dass Grundschulen, Oberschulen, Förderschulen und Gymnasien in einem Gebäude sein können. All das haben wir ins Gesetz geschrieben. Und zwar – das ist mir wichtig – mit der CDU. Die Verhandlungen waren nicht einfach. Aber es hat sich gelohnt, hart zu diskutieren. Ich denke, beide Seiten haben gelernt, dass es ein Mehrwert ist, sich zuzuhören. Dass es fruchtvoll ist, Argumente auszutauschen und abzuwägen. Dass viele zusammen eine bessere Lösung erreichen als einer allein. So stehen jetzt auch beide Koalitionsfraktionen hinter diesem Gesetz.
Wie geht es weiter?
Sabine Friedel: Jetzt gibt’s endlich wieder Luft für Themen, die fast noch wichtiger sind: Wir brauchen eine veränderte Lehramtsausbildung. Die Lehrpläne müssen entschlackt werden, der Unterricht muss sich ändern – Schule muss „diesseitiger“ werden. Bei all dem wird unser neu formulierter Erziehungs- und Bildungsauftrag im Gesetz helfen, denn er zeigt, was die Schule von morgen braucht.